

Fotografie der Videoarbeit "Sur Place" von metroZones (Anne Huffschmid, Christian Hanussek) mit Jelka Plata und Laura Klatt, Napuli Paul Langa, Muhammed Lamin Jadama, Amdi Niang, Ourmar Asourman und Ousmane Fouha.
Vortragsreihe "The Other Side of the Moon" am GTAS, TU Braunschweig. U.a. mit Noa K. Ha, Tazalika M. te Reh, Pınar Öğrenci, Defne Kadıoğlu Polat, Amo – Braunschweig Postkolonial e.V.
"Coloniality [is] the reverse and unavoidable side of 'modernity' – its darker side, like the part of the moon we do not see when we observe it from earth."
(Walter Mignolo)
"Kolonialität" – ein Begriff, den der dekoloniale Theoretiker Aníbal Quijano prägte – beschreibt die Kontinuität von Gewalt und weißer Überlegenheit in Wissenssystemen, im Kapitalismus, in ästhetischen und politischen Regimes, die bis heute fortwirken. Auch Vorstellungen von moderner Architektur und Stadt sind eng mit kolonialem Wissen verbunden. Einem Wissenssystem mit dazugehörigen kulturellen Narrativen, das ausgehend von Europa die Plünderung der Welt und die Unterwerfung anderer Völker legitimierte. Mit Architektur wurde kulturelle Überlegenheit als etwas Sichtbares konzipiert und in ästhetische Prinzipien übersetzt, die bis heute in den Architekturschulen gelehrt und in der Baupraxis umgesetzt werden. Verdeckt unter diesen Theorien und Gebäuden befinden sich die kolonialen Grundlagen dafür, wie heute noch Stadt und Architektur geplant und umgesetzt werden.
Die Bauwerke im Kanon der Architekturgeschichte, die als Artefakte des Fortschritts und der Aufklärung überliefert werden, haben – wie der Mond in Mignolos Allegorie – eine Kehrseite, die verwoben ist mit kolonialer Gewalt und Rassismus. Oder wie Walter Benjamin 1940 schreibt: „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.“ Dennoch, diese Dokumente und Bauwerke tragen auch das Potential in sich, „das Unmögliche zum Sprechen zu bringen, Geschichten zu wenden und Perspektiven auf die eurozentrische Geschichte zu ‚dezentrieren‘, infrage zu stellen und eine neue Geschichtsschreibung einzufordern“ (Noa K. Ha).
Im Seminar haben wir nach den Momenten in der Stadt, in der Architekturtheorie, in Architekturbildern und räumlichen Narrativen gesucht, in denen wir Kolonialität und die Konstruktion von race erkennen können und uns gefragt, wie sie mit der Art und Weise zusammenhängen, wie Raum gedacht, dargestellt und gemacht wird. Wie hängen Architektur und Stadtentwicklung mit Rassismus und Kolonialität zusammen? Mithilfe von rassismuskritischer Theorie und Beispielen aus der Praxis - z.B. Filmen und Berichten, aktuellen Debatten und stadtpolitischen Konflikten - erarbeiteten wir uns, wie Kolonialität noch heute in der Architekturpraxis, in Diskursen und in Stadträumen wirkt.
Da es sich um das erste Seminar am GTAS handelte, das sich mit dem Thema Rassismus und Raum beschäftigte, war es notwendig, Expert*innen einzuladen, die sich mit dem Schwerpunkt Kolonialität, Rassismus und Raum auseinandersetzen. So entstand die Idee einer semesterbegleitenden Vortragsreihe mit Filmen, Stadtrundgängen und Vorträgen.
Die Vortragsreihe "The Other Side of the Moon" brachte die Seminarteilnehmenden ins Gespräch mit Künstler*innen, Aktivist*innen, Sozialwissenschaftler*innen und Stadtforscher*innen, die ausgehend von konkreten Bauwerken und Stadtentwicklungsprojekten aus der Gegenwart und Vergangenheit erläuterten, wie sich struktureller Rassismus und Kolonialität ausdrückt und mit welchen Methoden sie analysiert werden können: historische Recherche, Interviews mit marginalisierten Positionen, Perspektivwechsel unterfüttert mit rassismuskritischen und dekolonialen Theorien.






"Zufluchtsort Shishabar", Screenshots, Videoarbeit von Semiha Samast, Yasmin Aggour, Dima Hammoudeh, Vanessa Zwinger, 2022.
"Zufluchtsort Shishabar", Screenshots, Videoarbeit von Semiha Samast, Yasmin Aggour, Dima Hammoudeh, Vanessa Zwinger, 2022.
"Zufluchtsort Shishabar", Screenshots, Videoarbeit von Semiha Samast, Yasmin Aggour, Dima Hammoudeh, Vanessa Zwinger, 2022.
"Zufluchtsort Shishabar", Screenshots, Videoarbeit von Semiha Samast, Yasmin Aggour, Dima Hammoudeh, Vanessa Zwinger, 2022.
"Zufluchtsort Shishabar", Screenshots, Videoarbeit von Semiha Samast, Yasmin Aggour, Dima Hammoudeh, Vanessa Zwinger, 2022.
"Zufluchtsort Shishabar", Screenshots, Videoarbeit von Semiha Samast, Yasmin Aggour, Dima Hammoudeh, Vanessa Zwinger, 2022.
Die entstandenen Seminararbeiten beschäftigten sich mit Rassismus in der Architekturtheorie und dem Umgang mit Kolonialdenkmälern, analysieren weiße Bildpolitiken in Architekturrenderings, reflektierten filmisch über die Identifikation und Stigmatisierung migrantisierter Räume und wendeten die Methode des multidirektionalen Erinnerns (Michael Rothberg) in der Reflexion kolonialer Vergangenheit an.
In Kooperation mit: GTAS, TU Braunschweig; Vorträge von Noa K. Ha, Tazalika M. te Reh, Pınar Öğrenci, Defne Kadıoğlu Polat, Amo - Braunschweig Postkolonial u.a.
* Leider ist Lehre und Forschung, die sich mit Rassismus beschäftigt, in der deutschen Forschungslandschaft rar. Das Wissensnetzwerk Rassismusforschung veröffentlichte 2025 einen Bericht zum Stand der Rassismusforschung in der deutschen Forschungslandschaftund kam zu einem ernüchternden Fazit: "[...] die Rassismusforschung in Deutschland [weist] trotz inhaltlicher Breite erhebliche Defizite in der institutionellen Absicherung und langfristigen Wissenschaftsförderung auf[...]. Das Feld ist derzeit nur schwach institutionalisiert, die Forschungsförderung bleibt prekär und ereignisgetrieben." Neben mangelnder struktureller Verankerung wird zudem auf große disziplinäre Forschungslücken im Bereich der Wohnungsforschung, Geografie, Kunst- und Kulturwissenschaften hingewiesen (WinRa, 2025).
Exemplarisch ist hier das Feld der Architektur- und Stadtforschung: 2020 war das Jahr, in dem der rassistische Anschlag in Hanau und der Mord an George Floyd stattfanden. Diese Ereignisse stießen einige wenige Publikationen, Veranstaltungen und Seminare im Bereich der Architektur- und Stadtforschung an, blieben aber die Ausnahme. Bis heute findet in diesen Forschungsfeldern wenig rassismuskritische Forschung statt.